Von Peronnes in Belgien gings dann endlich Richtung Süden auf die Escaut (Schelde). Nach wenigen Kilometern kam ein altes vergammeltes ehemaliges Zollhäuschen in Sicht und ich hängte die französische Flagge auf. Es ist hier ein typischer Transportkanal, mit etwa 2-3 Schiffsbegegnungen pro Stunde. Keine Sportboote, nur Frachter. Entgegen meinen Befürchtungen hat hier die Schelde nur eine sehr geringe Gegenströmung, geschätzt um 1 km/h. Nach knapp 50 km gings es nach rechts in den canal de la Sensee, auf dem es sich in etwa so fährt wie auf der Schelde.
Eine deutliche Änderung gab es beim Einbiegen nach links in den canal du nord. Nachdenklich wurde ich beim Hinweisschild „PARIS“. Der Umweg hätte mich eine oder zwei Wochen gekostet. Falls ich später nicht weiterkommen sollte, kann es sein daß ich doch über Paris muss.

Müll im Wasser. Auf die Dauer nervt es ständig nach Holz und Müll gucken zu müssen 
enfin chez Macron 
Escaut / Schelde 

typischer Halteplatz längs canal du nord
Die Schleusen werden nun schmaler und wilder. Aber die Frachter sind nun auch etwas kleiner. Auch die Wassertiefe nimmt ganz langsam in Richtung Süden ab, bleibt aber immer über 3m. Wasserpflanzen breiten sich immer mehr aus. Bei dem Bild von einem Halteplatz (weiter oben) verfing sich der Propeller in den Pflanzen. Musste mit Vor-Zurückmanövern die Schraube vorsichtig klar machen. Anlegt habe ich ohne Schraubenkraft, einfach mit etwas Schwung.
Wie zuvor sah ich kaum kleine Boote. In den ganzen Tagen auf diesen Gewässern sah ich nur zwei Sportboote und es wurde wild gewinkt. Anhalten für die Nacht war schwierig. Ich musste stets bei Haltestellen für die Frachter halten. Die sehr wenigen Häfen haben alle Wassertiefen von rund 1,30m. Einen guten Platz fand ich in Peronne (nicht zu verwechseln mit Peronnes in Belgien) neben dem Sportboothafen (1,3m WT), auf der gleichen Seite (Frachthafen). Von da aus konnte ich endlich Getränke in einem nahen Lidl-Supermarkt einkaufen. Da ich schon früh nach Haltestellen suchte und früh anhielt, waren die einzelnen Tageskilometer nicht so berauschend. Meistens zwischen 25 und 40 km pro Tag bei Geschwindigkeiten um 7 km/h. Ganz allmählich stieg die Motortemperatur an, von 70 Grad auf 78 Grad, und am nächsten Tag auf 80 Grad C. Das machte mir große Sorgen da ich die Ursache nicht finden konnte. So drosselte ich etwas die Geschwindigkeit auf 6,5 km/h (jedesmal mit GPS-Messung per Handy). Wahrscheinlich ist das Kanalwasser wärmer geworden und die geringere Wassertiefe fördert die Erwärmung noch. Beim Drehen der Propellerwelle mit der Hand ist alles normal. Der ab und zu gereinigte Wasserfilter sah sauber aus. Aus anderen Fahrten in Frankreich kann ich mich an ein dickes Gewusel alter Angelleinen erinnern, die sich an der Schraube verfingen und was dazu führte daß mit mehr Gas gefahren werden musste, man merkte das Problem anfangs nicht. Mit einem Tauchgang habe ich damals alles abgeschnitten. Das war hier nicht der Fall. Meine wasserdichte Kamera von Nikon hatte ich leider vergessen. Die hätte ich auf Video schalten können und mit Klebeband an einem Stock unter Wasser halten können. So hatte ich das noch von zu Hause aus vorausschauend geplant. Ich hoffe der Impeller ist noch intakt.

Es gab zwei kleine Pannen. Es stellte sich einmal heraus daß die Batteriespannung nach Anlassen des Motors gleich blieb. Der Lichtmaschinenkeilriemen rutschte. Mit Herkuleskraft drückte ich den Generator wieder hoch, die beiden Befestigungsschrauben hatten schon runde Schraubenköpfe. Beim morgentlichen Motorcheck fiel mir ein anderes Mal auf daß die Wasserpumpe nicht mitdrehte. Auch hier war der (andere) Keilriemen zu schlapp und ich musste mit viel Kraft neu trimmen.
An die wilden Schleusen habe ich mich mit der Zeit gewöhnt. Nicht aber an den ruppigen Umgang mit kleinen Booten: zwar hatte ich kaum Probleme mit den Frachtern, aber es ist eine sehr unangenehme Praxis schon während der Einfahrt in eine Schleuse das Tor hinten zuzumachen und das Wasser abzulassen bevor man angelegt hat! In einem Fall längs des canal du nord musste ich kurz vor dem Festmachen an Land springen um den Festmacher unter Wasser einzufädeln. Das Wasser rauschte ab und mein Boot auch. Es drehte sich alleine im Schleusenwasser und sank immer tiefer ab, aber ohne mich. Es stiess dann auf der anderen Seite an die Schleusenwand und ich rannte ums Becken rum und sprang aus 2 Meter Höhe aufs Deck. Ein Glück: es brach nicht ein. In 30 Sekunden konnte ich nun an den in der Wand eingelassenen „bollard“ ran und festmachen. Da stoppte erst die Schleusung weil man mich wohl in einer Videokamera am Herumrennen gesehen hatte. Ich hob demonstrativ den Arm und nach einer Minute war dann die Schleusung wieder in Gang.
Käpten Blaubärmodus ein: Bei einem ähnlichen Missgeschick eines anderen Bootes auf der Rhone dröhte damals vor zwanzig Jahren eine ohrenbetäubende Sirene und es wurden lautstarke Befehle gebrüllt, die wie in der Bahnhofsszene in dem Film „Les vacances de Mr. Hulot“ unverständlich blieben. Damals musste man ewig auf die Füllung einer 14m Rhone-Riesenschleuse warten. Es sollten damals soviele kleine Boote rein wie reinpassten. Ein älterer solofahrender Herr aus Deutschland schlief dabei ein. Er hatte aber sein 8m-Boot einfach vertäut und das plötzliche Ablassen des Wasser führte dazu daß es im 45 Grad schief an der Schleusenwand hing und es drohte zu kentern. Der Mann wachte aber auf und musste die Festmacher durchschneiden. Unter Motor legte er dann bei uns an und wir schleusten zusammen runter. Käpten Blaubärmodus aus.
Eine Riesenfreude machte die Überquerung des 50. Breitengrades, nachdem ich den langen Ruyaultcourt Tunnel durchfahren hatte.